Künstliche Intelligenz in der Literaturübersetzung

Warum Selfpublisher auf menschliche Qualität setzen sollten

In Zeiten, in denen künstliche Intelligenz wie DeepL Übersetzungen in Sekundenschnelle liefert und dabei immer besser wird, frage ich mich manchmal: Wird die Maschine bald besser übersetzen als ich? Die Fortschritte sind beeindruckend – vor allem bei klaren, sachlichen Texten. Doch wenn es um Literatur geht, um Bücher voller Emotionen, Bilder und subtiler Zwischentöne, trennt sich die Spreu vom Weizen. Denn literarisches Übersetzen ist mehr als das Übertragen von Worten. Es ist das Einfangen von Gefühlen, das Lesen zwischen den Zeilen, das Erschaffen des Kopfkinos.

KI in der Sachbuchübersetzung

Neulich las ich, dass inzwischen einige Verlage KI zur Übersetzung von Sachbüchern einsetzen. Die Texte werden anschließend von menschlichen Übersetzern oder Lektoren überarbeitet. Dabei werden Fehler ausgemerzt und der Stil geglättet. Auch wenn es bei Sachliteratur vorrangig darum geht, Fakten zu vermitteln, sollten diese Texte dennoch unterhaltsam und möglichst locker geschrieben sein. Um das zu erreichen, muss sich ein Übersetzer vom Ausgangstext lösen und freier vorgehen. Künstliche Intelligenz hält sich sklavisch an die Vorlage und produziert im schlimmsten Fall einen trockenen und steifen Text. Was informieren oder sogar helfen sollte (Sachbücher zu Gesundheitsthemen), wird herumliegen und Staub ansetzen. Eine KI verfasst aber zwangsläufig solche Texte, denn keine Maschine – und genau das ist künstliche Intelligenz – hat Humor oder liest zwischen den Zeilen. Selbst wenn der Autor das womöglich ernste Thema mit einer witzigen Anekdote auflockert, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass unser Übersetzungstool den Ton nicht trifft. Roboter erzählen schließlich keine Witze.

Wie sieht es in der Unterhaltungsliteratur aus? Viele Literaturübersetzer, selbst diejenigen, die seit Jahrzehnten im Geschäft sind, klagen über einen Auftragsrückgang. Die Vermutung liegt nahe, dass auch hier mit künstlicher Intelligenz gearbeitet wird. Übersetzer arbeiten nicht umsonst, KI erledigt den Job für ’nen Appel und ’n Ei.

Selbst Selfpublisher nutzen Programme, die speziell für Autoren entwickelt wurden, um ihre Bücher in alle möglichen Sprachen zu übersetzen. Angeblich mit überzeugenden Ergebnissen. Ich sehe das anders, aber vielleicht bin ich ja zu anspruchsvoll. Meiner Meinung nach waren die Leseproben dieser KI-übersetzten Bücher austauschbar und „okay“.

Ein gutes Buch fesselt den Leser innerhalb der ersten fünfzig Seiten. Schon die ersten Sätze entscheiden darüber, ob das Werk gekauft bzw. gelesen wird oder nicht. Wenn ich nach vier Kapiteln nicht in die Geschichte eingetaucht bin, war’s das. Es landet im Regal und verstaubt – schade ums Papier.

Was macht so ein Buch aus? Das ist natürlich sehr subjektiv, aber grundsätzlich läuft es aufs Folgende hinaus: eine fesselnde Handlung, Charaktere, in die man sich hineinversetzen kann, ein lebendiger und flüssiger Stil, der berührt, Emotionen weckt und Bilder erschafft. Ein Autor, der nach der „Show, don’t tell“-Methode arbeitet und Gefühle und Handlungen zeigt, statt sie nur zu erzählen, ist auf dem richtigen Weg. Allerdings machen das viele kreative Köpfe nicht. Da steht dann beispielsweise: „Er war wütend“, statt: „Er ballte die Fäuste und knirschte mit den Zähnen.“ Oder: „Sie war ja so genervt“, statt: „Sie verdrehte die Augen und verzog das Gesicht.“ Eine KI übersetzt genau die Worte, die im Buch stehen, nicht mehr und nicht weniger. Ein fähiger Literaturübersetzer, der es versteht, mit Bildern und Emotionen zu spielen und zwischen den Zeilen zu lesen, wird mehr aus einem solchen Text herausholen. Denn selbst der besten Handlung fehlt etwas, wenn nicht mit Bildsprache gearbeitet und nicht interpretiert wird.

Literarische Beispiele – DeepL versus Mensch

Macht euch selbst ein Bild. Hier ein Ausschnitt aus Das Geschenk der Weisen (The Gift of the Magi) von O. Henry.

Das Original:
Della finished her cry and attended to her cheeks with the powder rag.
She stood by the window and looked out dully at a gray cat walking a gray fence in a gray backyard. Tomorrow would be Christmas Day, and she had only $1.87 with which to buy Jim a present. She had been saving every penny she could for months, with this result. Twenty dollars a week doesn’t go far. Expenses had been greater than she had calculated.
They always are. Only $1.87 to buy a present for Jim. Her Jim. Many a happy hour she had spent planning for something nice for him. Something fine and rare and sterling—something just a little bit near to being worthy of the honor of being owned by Jim.
There was a pier glass between the windows of the room. Perhaps you have seen a pier glass in an $8 flat. A very thin and very agile person may, by observing his reflection in a rapid sequence of longitudinal strips, obtain a fairly accurate conception of his looks. Della, being slender, had mastered the art.
Suddenly she whirled from the window and stood before the glass. Her eyes were shining brilliantly, but her face had lost its color within twenty seconds. Rapidly she pulled down her hair and let it fall to its full length.

Die Fassung von DeepL:
Della hörte auf zu weinen und putzte sich die Wangen mit dem Puderlappen ab.
Sie stand am Fenster und schaute traurig auf eine graue Katze, die in einem grauen Hinterhof an einem grauen Zaun entlanglief. Morgen war Weihnachten, und sie hatte nur 1,87 Dollar, um Jim ein Geschenk zu kaufen. Sie hatte monatelang jeden Cent gespart, und das war das Ergebnis. Zwanzig Dollar pro Woche reichte nicht weit. Die Ausgaben waren höher gewesen, als sie gedacht hatte.
Das waren sie immer. Nur 1,87 Dollar, um ein Geschenk für Jim zu kaufen. Ihren Jim. Viele glückliche Stunden hatte sie damit verbracht, etwas Schönes für ihn zu planen. Etwas Feines und Seltenes und Wertvolles – etwas, das ihm ein wenig würdig war, ihm zu gehören.
Zwischen den Fenstern des Zimmers stand ein Standspiegel. Vielleicht hast du schon einmal einen Standspiegel in einer 8-Dollar-Wohnung gesehen. Eine sehr schlanke und sehr bewegliche Person kann, indem er sein Spiegelbild in einer schnellen Abfolge von Längsstreifen betrachtet, eine ziemlich genaue Vorstellung von seinem Aussehen gewinnen. Della war schlank und hatte diese Kunst beherrscht.
Plötzlich wirbelte sie vom Fenster herum und stand vor dem Spiegel. Ihre Augen leuchteten hell, aber ihr Gesicht hatte innerhalb von zwanzig Sekunden seine Farbe verloren. Schnell zog sie ihr Haar herunter und ließ es in seiner vollen Länge fallen.

Meine Fassung:
Nachdem Dellas Tränen versiegt waren, trocknete sie sich die Wangen mit der Puderquaste.
Niedergeschlagen schaute sie aus dem Fenster und beobachtete eine graue Katze, die auf einem grauen Zaun in einem grauen Hinterhof balancierte. Morgen war Weihnachten und sie hatte nur einen Dollar und siebenundachtzig Cent, um ein Geschenk für Jim zu kaufen. Obwohl sie sich monatelang jeden Penny vom Mund abgespart hatte, war kaum etwas übrig geblieben. Mit zwanzig Dollar in der Woche kam man eben nicht weit. Außerdem waren ihre Ausgaben höher als erwartet.
Damit kämpfte sie schon immer. Läppische ein Dollar siebenundachtzig für ihren Jim! Dabei hatte sie stundenlang selig Pläne geschmiedet, um etwas Geschmackvolles, Einzigartiges und Hochwertiges zu finden, damit Jim erkannte, was für eine Ehre es war, zu ihm zu gehören …
Kennen Sie diese schmalen Wandspiegel, die man in einer typischen Acht-Dollar-Wohnung findet? Zwischen den Fenstern hing einer. Wenn sich eine schlanke Person schnell davor dreht, sieht sie sich von allen Seiten und erkennt ihre Wirkung. Della war nicht nur dünn, sondern beherrschte diese Kunst perfekt.
Sie wandte sich abrupt vom Fenster ab und positionierte sich vor dem Spiegel. Darin sah sie strahlende Augen in einem Gesicht, das im Bruchteil einer Sekunde jegliche Farbe verloren hatte. Hektisch löste sie ihr langes Haar und verbarg ihr blasses Gesicht dahinter.

Um die Dramatik und Dellas Dilemma zu betonen, habe ich mich entschieden, in manchen Passagen etwas freier vorzugehen. Der Leser soll in die Geschichte eintauchen und mit Della mitfühlen. DeepL übersetzt den Text zwar korrekt und fehlerfrei, aber leider zu wörtlich. Wie kommt er dadurch rüber? Lebendig? Entstehen dabei Bilder und Emotionen?
Na ja … ich behaupte nicht. Sechs, setzen!

KI und vermeintlich irrelevante Fehler

Wie geht die KI mit Fehlern um? Redewendungen und Tippfehler erkennt sie inzwischen, da hat sich einiges verbessert. Aber wie sieht es mit weniger offensichtlichen Patzern aus? Mit Wörtern, die gleich klingen, bei denen aber ein einziger Buchstabe den Unterschied ausmacht?
Werfen wir einen Blick darauf.

  • She excepted his invitation to dinner.
  • Exepted statt accepted
  • deepLSie lehnte seine Einladung zum Abendessen ab.
  • Knapp daneben ist auch vorbei. Sie nahm die Einladung an.
  • They complimented each other on their new suits.
  • complemented – „to complement“ = sich ergänzen
  • deepL: Sie haben sich gegenseitig zu ihren neuen Anzügen beglückwünscht.
  • Warum sollte man jemandem zu einem Anzug gratulieren? Das wäre doch ziemlich schräg.
  • The dessert was beautiful at sunset.
  • dessert – Nachspeise, gemeint ist aber desert – Wüste
  • DeepL: Das Dessert sah bei Sonnenuntergang wunderschön aus.
  • Warum sollte ein Dessert bei Sonnenuntergang erwähnt werden? Wann hat jemals ein Dessert die Handlung eines Romans beeinflusst? Na gut, ein vergiftetes vielleicht, aber davon steht hier nichts.

Einem mitdenkenden Übersetzer, der den Kontext beachtet, wären diese kleinen Fehler aufgefallen, sodass er sie gar nicht erst übernommen hätte. Künstliche Intelligenz denkt nicht mit und liest nicht aus dem Kontext. Deshalb ist sie ja eine Maschine und kein Mensch.

Das Problem mit Metaphern und Wortspielen

Auch wenn Übersetzungstools inzwischen Redewendungen erkennen, versagen sie bei kniffligen Metaphern, Similes und Wortspielen. Damit haben viele Literaturübersetzer regelmäßig zu kämpfen, denn oft muss eine deutsche Entsprechung gefunden und ein neues Wortspiel erschaffen werden. Dafür braucht es Hirnschmalz – das kann keine Maschine liefern.
Metaphern und Vergleiche, die im Englischen funktionieren, können auf Deutsch leicht albern oder lächerlich wirken. Auch hier muss eine Entsprechung gefunden werden, die in den Kontext passt und dasselbe Bild vermittelt. Manchmal feilt man wochenlang daran, kommt immer wieder darauf zurück, bis es endlich passt. Im schlimmsten Fall muss auf eine Metapher verzichtet werden. Dafür lässt sich an anderer Stelle umso mehr herausholen und ein Bild oder eine Emotion stärker vermitteln als im Original. Es ist ein Abwägen von Für und Wider. Übersetzer treffen solche Entscheidungen bei jedem Buch. DeepL hingegen liefert nur merkwürdige Sätze.

Beispiele gefällig?

  • Her thoughts fluttered around her head like drunken butterflies.
  • DeepL: Ihre Gedanken flatterten wie betrunkene Schmetterlinge um ihren Kopf herum.
  • Klingt seltsam, oder?
  • Wie wäre es damit? Ihre Gedanken fuhren Achterbahn, sodass ihr der Kopf schwirrte.
  • He moved through the crowd like a rumor—unseen but felt.
  • DeepL: Er bewegte sich durch die Menge wie ein Gerücht – unsichtbar, aber spürbar.
  • Ein wenig freier könnte der Satz so lauten: Er bewegte sich durch die Menge wie ein Unsichtbarer. Niemand sah ihn, aber alle bemerkten ihn.

Auch hier überträgt die KI den Text wörtlich oder glättet ihn, wodurch die literarische Wirkung verloren geht. Gerade hier zeigt sich die Notwendigkeit, Bilder kreativ anzupassen, sich vom Ausgangstext zu lösen und eine eigene Fassung zu finden.
Vielleicht werden Übersetzungs-KIs in Zukunft noch besser, aber solange Literatur mehr ist als reine Information, solange sie berühren, überraschen und bewegen will, bleibt die menschliche Übersetzung unersetzlich. Das ist keine Schwäche, sondern die größte Stärke unseres Berufs: Wir sind diejenigen, die zwischen den Zeilen lesen und Geschichten zum Leben erwecken.
Probiert es ruhig selbst aus: Lasst euch einen Romanabschnitt von einer KI übersetzen und lest anschließend eine literarische Übersetzung. Ihr werdet den Unterschied spüren. Literatur braucht Menschlichkeit, Kreativität und das berühmte Quäntchen Feingefühl. Genau das macht Bücher unvergesslich und Literaturübersetzen zu einer Kunst.
Solange eine KI keine Gänsehaut bekommt, wenn sie einen eindrucksvollen Satz liest, bleibe ich gern am Werk.

* Im Sinne der besseren Lesbarkeit wurde das generische Maskulinum verwendet.

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